Der Vibrator und die Hysterie der Frauen

Wer glaubt, dass der Vibrator erfunden wurde, um den Frauen Plaisir zu bescheren oder ihr Sexualleben zu bereichern, der ist mehr als nur ganz leicht auf dem Holzweg. Wirklich überraschen sollte der Fakt, dass es damit nicht allzu viel zu tun hatte aber nicht, wenn man nur einmal weiß, worum es dabei wirklich ging und wie KNAPP vorbei an der Wahrheit der Erfinder lag. Alles fing nämlich mit hysterischen Weibsbildern an – jene, welche die Männer immer schon geplagt haben.

Was vielen Männern leider heute noch Kopfschmerzen bereitet (die Ironie) war immer schon ein Anlass zu großem Rätselraten für Männer – was wollen Frauen wirklich und wie geben wir es Ihnen am einfachsten? (Wortwahl nicht zufällig). Wen überrascht es, dass man auch schon vor Hunderten von Jahren versucht hat, die Sache logisch und wisschenschaftlich anzugehen, irgendwie musst man dem Weibsbild zu Leibe rücken können, Frauen waren schließlich simple Wesen.

Wenn man heutzutage das Wort Vibrator erwähnt, dann denken die meisten Menschen sofort an das sexuelle Vergnügen der Frau. Nicht verwunderlich – schätzungsweise ein Drittel der erwachsenen Frauen vieler aufgeklärter Länder besitzen jetzt mindestens einen dieser batteriebetriebenen Lüstlinge. Die klitorale Stimulation mit Vibratoren erzeugt auch bei Frauen, welche auf anderem Weg nicht so leicht an einen Orgasmus kommen (also die meisten von uns) einen sexuellen Höhepunkt. Und natürlich berichten Frauen nach Verwendung eines Vibrators über eine Verbesserung sowohl beim Solo als auch beim Partnersex.

Das unbeschreibliche Verlangen der Weibsbilder

Ironischerweise lag das sexuelle Vergnügen der Frauen den männlichen Ärzten, die vor fast zwei Jahrhunderten Vibratoren entwickelten, jedoch gar nicht so sehr am Herzen. Sie waren lediglich an einem Gerät interessiert, das einem stetig steigenden Strom von Weibsbildern im 19. Jahrhundert, welche an, wie die Ärzte diagnostizierten, “Hysterie” litten, einer vage definierten Krankheit, die heutzutage leicht als sexuelle Frustration erkennbar ist, einen manuelle “Heilung” zu verpassen und dabei die sorgfältig manikürten Hände der Männer nicht zu sehr zu beanspruchen. Denn die “Heilung” war ein recht interessanter Prozess, der ein bisschen Handarbeit nötig machte. (Wer hätte es gedacht?)

Bis zum 20. Jahrhundert glaubten amerikanische und europäische Männer – einschließlich der Mediziner -, dass Frauen kein sexuelles Verlangen oder Vergnügen empfanden. Sie glaubten, dass Frauen einfach fleischliche Auffangbehälter für männliche Lust waren und dass Geschlechtsverkehr, der in der männlichen Ejakulation gipfelte, die erotischen Bedürfnisse von Frauen so nebenher ebenfalls erfüllte. Frauen wurden aufgezogen zu glauben, dass “Damen” keinen Sexualtrieb hatten, und dass Sie die Pflicht hätten, sich mit dem gebotenen (oder aufgezwungenen) Sex abzufinden, um ihre Ehemänner glücklich zu machen und Kinder zu bekommen.

Es überrascht nicht, dass diese Überzeugung eine enorme Anzahl von Frauen einfach in ihrer eigenen Misere zurückließ oder dass Frauen sexuell frustriert waren. Sie beklagten sich bei Ärzten über Angstzustände, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Nervosität, Schweregefühl im Unterleib und Nässe zwischen den Beinen. Dieses Syndrom wurde als “Hysterie” bekannt. (Aus dem Griechischen für Gebärmutter)

“Hysteriker” hatten einen schlechten Stand

Dokumentierte Beschwerden über weibliche Hysterie stammen aus dem 13. Jahrhundert. Ärzte dieser Ära verstanden, dass Frauen Libidos hatten und rieten ihnen, ihre sexuelle Frustration mit Dildos zu lindern. Im 16. Jahrhundert rieten Ärzte verheirateten Hysterikern,  die sexuelle Begierde ihres Mannes zu ermutigen.

Leider hat das wahrscheinlich nicht allzu vielen Frauen geholfen, denn die moderne Sexualitätsforschung zeigt eindeutig, dass nur etwa 25 Prozent der Frauen ständig einen Orgasmus beim Geschlechtsverkehr erleben. Drei Viertel der Frauen brauchen eine direkte Stimulation der Klitoris, und die meisten Geschlechtsakte liefern nicht allzuviel Befriedigung. Bei Hysterie, die durch die sexuelle Aktivität des Ehemannes nicht gelindert wurde, und für Witwen, alleinstehende und unglücklich verheiratete Frauen, rieten die Ärzte zum Reiten, was wohl für manche eine ausreichende Stimulation der Klitoris zur Folge hatte, um einen Orgasmus auszulösen. Aber Reiten bescherte den meisten Frauen eher wenig Erleichterung. Mehr noch, im 17. Jahrhundert waren Dildos keine Option, weil es den Moralaposteln gelungen war, Masturbation als “Selbstmissbrauch” zu dämonisieren.

Die Erlösung war nicht fern – doch sie kam anders als erwartet

Glücklicherweise erschien bald eine zuverlässige, sozial verträgliche Behandlung auf dem Plan. Ärzte oder Hebammen träufelten pflanzliches Öl auf die Genitalien der Frau und massierten sie dann mit einem oder zwei Fingern innerhalb der Scheide und dem Handballen gegen die Klitoris. Mit dieser Art von Massage hatten Frauen Orgasmen und erlebten eine plötzliche (dramatische) Erleichterung der Hysterie. Aber Ärzte nannten Orgasmen der Frauen nicht Orgasmen. Sie nannten sie “Paroxysmen”, weil doch jeder wusste, dass Frauen zu sexuellen Gefühlen nicht fähig waren, und sie keinen Orgasmus erleben konnten.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der von Ärzten unterstützte Paroxysmus in Europa und den USA fest verankert und erwies sich für viele Ärzte als finanzieller Segen. Zu der Zeit sah die Öffentlichkeit Ärzte mit großem Misstrauen. Aber dank der Genitalmassage war Hysterie eine der wenigen Verfassungen, die Ärzte erfolgreich behandeln konnten, und dies produzierte eine große Anzahl dankbarer Frauen, die treu und regelmäßig zurückkehrten und bereit waren, für zusätzliche Behandlungen zu bezahlen.

Es gab einen Haken – diesem Haken verdanken wir den Vibrator

Zum Leidwesen der Ärzte hatte die Behandlung der Hysterie einen Nachteil – schmerzende, verkrampfte Finger und Hände von der ganzen Massage. In medizinischen Zeitschriften des frühen 19. Jahrhunderts beklagten Ärzte, dass die Behandlung von Hysterie ihre körperliche Gesundheit gefährde. Die damit verbundene regelmäßige Überlastung der Hände bedeutete, dass einige Ärzte Schwierigkeiten hatten, die Behandlung lange genug aufrechtzuerhalten, um das gewünschte und nebenher höchst lukrative Ergebnis zu erzielen.

Da Notwendigkeit nun einmal die Mutter der Erfindung ist, begann Ärzte mit mechanischen Ersatz für ihre Hände zu experimentieren. Sie probierten eine Reihe von Genitalmassagen aus, darunter wasserbetriebene Geräte (die Vorläufer der heutigen Massagegeräte für die Dusche) und pumpende, dampfgetriebene Dildos. Aber die Maschinen waren schwerfällig, unordentlich, oft unzuverlässig und manchmal gefährlich.

Im späten neunzehnten Jahrhundert, kam Elektrizität in unsere Häuser und die ersten elektrischen Geräte erschienen: Der elektrische Ventilator, der Toaster, der Teekessel und die Nähmaschine. Im Jahr 1880, mehr als ein Jahrzehnt vor der Erfindung des elektrischen Bügeleisens und Staubsaugers, patentierte ein unternehmungslustiger englischer Arzt, Dr. Joseph Mortimer Granville, den elektromechanischen Vibrator. Vibratoren, sowohl Plug-in als auch später batteriebetrieben, waren sofort ein Hit. Sie erzeugten Paroxysme schnell, sicher, zuverlässig und so oft wie die Weiber es wollten. Anfang des 20. Jahrhunderts verloren die Ärzte ihr Monopol auf Hysteriebehandlungen, da Frauen begannen, die Geräte für sich selbst zu kaufen, nicht zuletzt dank der Werbung in beliebten Frauenzeitschriften.

Um jedoch die Vibratoren gesellschaftlich akzeptabel zu machen, wurde ihr wahrer Zweck verschleiert. Sie wurden “persönliches Massagegerät” genannt (und dies geschieht auch heute noch bei einigen Händlern). Aber anspruchsvolle Frauen und Werbetexter wussten genau, worum es bei dieser “Massage” ging.

Die Hippies befreiten uns?

Die Elektrizität gab den Frauen Heimvibratoren, aber innerhalb weniger Jahrzehnte verschwanden sie auch wieder von der Bildfläche. Was war passiert?

Ganz einfach: der Film (die beweglichen Bilder) wurde 1890 erfunden und schon 1891 wurde Pornographie gefilmt. In den Zwanziger Jahren tauchten Vibratoren in den Filmen auf, welche die “Massage-Geräte” als das entlarvten, was sie waren und sie schnell gesellschaftlich inakzeptabel machten. Die Vibratorwerbung verschwand aus den Konsummedien, und bis weit in die 70er Jahre waren Vibratoren schwer zu finden.

Das änderte sich, als der Feminismus öffentlich und schamlos sein Haupt erhob, gleichzeitig ein weltbekannter Hersteller zu Hilfe eilte und Hitachi seinen “Zauberstab” (Magic Wand) einführte, der immer noch der beliebteste Vibrator der Welt ist. Heute sind Dutzende von Modellen erhältlich: Batteriebetrieben, wasserdicht, groß, klein, sowie winzig kleine, niedliche Reisemodelle. Ein Drittel aller erwachsenen Frauen besitzt mindestens einen Vibrator und ungefähr die Hälfte der Vibratorbesitzer benutzt sie beim Partnersex. Und das verdanken wir den leicht zu ermüdenden Händen einiger Ärtze.

Quelle: Rachel Maines, The Technology of Orgasm, Hysteria, The Vibrator and Women’ sexual satisfaction.